Mit Leichter Sprache Hürden überwinden
Menschen mit und ohne Behinderung übersetzen und überprüfen komplizierte Texte
Die deutsche Rechtschreibung und Texte sind oft kompliziert. Sie zu verstehen, ist für manchen schwierig. Die Samariterstiftung betreibt ein Übersetzungsbüro für Leichte Sprache, um für verschiedene Zielgruppen die Texte öffentlicher Einrichtungen, von Behörden, Organisationen oder Unternehmen in eine verständliche Form zu bringen.
Langsam und deutlich liest Carmen Scheerer einen Text vor, der die Formulare eines Einwohnermeldeamtes erklärt. Von Vermietern ist da die Rede, von Eigentümern und Wohnungsgebern. Beim letzten Begriff bleibt sie hängen. „Dieses Wort habe ich noch nie gehört“, stellt sie fest. „Bei Behördensachen habe ich immer Fragezeichen im Kopf.“
Carmen Scheerer arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung und hat einen „Nebenjob“: Sie gehört im Übersetzungsbüro für Leichte Sprache zum Prüfungsteam. Gemeinsam mit Herbert Setzer und Irene Eichhorn ist sie für die Qualitätskontrolle von Texten verantwortlich, welche Eva-Maria Rothaupt, Leiterin des Übersetzungsbüros, übersetzt hat. Unter ihrer Anleitung suchen die drei nach einer anderen Erklärung für das Wort „Wohnungsgeber“. Sie zerlegen es in seine Einzelteile und Herbert Setzer denkt laut nach: „Das ist einer, der eine Wohnung hergibt“. Im Team entwickelt sich eine Diskussion. „Ein Wohnungsgeber ist eine Person“, so entscheiden sie, „und für eine Wohnung zuständig. Vielleicht gehört ihm eine Wohnung. Oder er vermietet eine Wohnung an andere Personen.“ Jetzt sind alle zufrieden und Carmen Scheerer drückt einen Stempel mit dem Siegel für Leichte Sprache der Samariterstiftung aufs Papier. Zum Qualitätsmerkmal für gute Leichte Sprache gehört eben die intensive Prüfung der Texte durch eine der Zielgruppen.
Beim nächsten Text stolpert das Prüfungsteam über einen Begriff, der im Amtsdeutsch so häufig vorkommt, dass man nicht mehr darüber nachdenkt, was er eigentlich bedeutet. Das Wort „Belange“ sorgt für Fragezeichen. Sie schauen nach, um nach Synonymen zu suchen. „Interessen, Angelegenheiten“ finden sie. Für Irene, Herbert und Carmen ist das immer noch nicht verständlich genug. Schließlich einigen sie sich auf die Umschreibung „Probleme und Wünsche“. „Wir überlegen gemeinsam und suchen passende Wörter. Das ist ein sehr zeitintensiver Prozess“, so Rothaupt. Leichte Sprache kann kompliziert sein.
„Der Personenkreis der Leichten Sprache ist sehr vielfältig. Viele Menschen verstehen komplizierte Texte, Fremdwörter oder Fachbegriffe oft nicht“, erläutert sie die Intention des Übersetzungsbüros für Leichte Sprache. „Wenn man etwas nicht versteht, ist man ausgeschlossen und kann nicht teilhaben.“ Fremdwörter und eine komplizierte Ausdrucksweise erschweren nicht nur Menschen mit kognitiver Behinderung das Leben. Wer deutsch nicht als Muttersprache spricht, oder wer eine dementielle Erkrankung hat, der versteht oft nur noch „Bahnhof“ – übrigens eine Redewendung, die in der Leichten Sprache auch nichts zu suchen hat. Bildliche Sprache ist tabu, genauso wie Ironie. Die Sätze sind kurz und passen in eine Zeile. Pro Satz gibt es eine einzige Aussage. Es gibt keinen Konjunktiv und keinen Genitiv. Lange Wörter werden mit „Binde-Strichen“ getrennt. Die Lesenden werden aktiv angesprochen. Um den Begriff besser begreifen zu können, ist daneben eine Illustration abgebildet. Fremdsprachliche Begriffe wie „Container“ oder eine Seite im Internet, die „Homepage“, lesen sich so, wie man sie ausspricht. Also „Kontäiner“ oder „houm-peitsch“. Was lustig aussieht, ist für Menschen mit Leseschwierigkeiten im Alltag hilfreich.
Die Kritik, Leichte Sprache verfremde die deutsche Rechtschreibung und Sprache, kann Eva-Maria Rothaupt verstehen. Allerdings sollen die vereinfachten Texte die deutsche Sprache keineswegs ersetzen. Sie sind vielmehr eine parallele Übersetzung mit leicht lesbarer Typografie und als ergänzendes Angebot für die Vielzahl an Menschen in Deutschland gedacht, die auf eine möglichst vereinfachte und verständliche Ausdrucksweise angewiesen sind. „Leichte Sprache kann man mit einer Rampe als sinnvolle Ergänzung zu einer Treppe vergleichen. Sie bietet für verschiedene Personengruppen eine leichtere Zugangsmöglichkeit. Beide Angebote sind vorhanden. Wer welches Angebot nutzen möchte, kann so jeder selbst entscheiden“, so Rothaupt.
Das zertifizierte Übersetzungsbüro für Leichte Sprache der Samariterstiftung hat seinen Sitz in Aalen und ist überregional auch rund um das Thema einfache Sprache, einer weiteren Sprachenvariante, tätig. Es ist Mitglied im Netzwerk Leichte Sprache. Das Prüfungsteam besteht aus Menschen mit Behinderung. Gemeinsam mit dem Übersetzungsteam bearbeiten sie unterschiedliche Texte, angefangen bei Informationsschreiben, Broschüren und Verträgen bis hin zu Leitbildern oder Wahlprogrammen. Zudem bieten sie inklusive Workshops an. Zu den Kunden gehören nicht nur Behörden und Ämter, sondern auch soziale Einrichtungen, Bildungshäuser, Organisationen, Firmen und Institutionen.
Der Prüfergruppe macht ihre Arbeit Spaß. „Das ist mal eine andere Arbeit für den Kopf“, sagt Carmen Scheerer. „Die Abwechslung im Alltag tut gut. Wir können dabei sein und unsere Ideen und Meinungen sagen“, ergänzt Irene Eichhorn. Für Herbert Setzer ist die Leichte Sprache ein Weg zu mehr Normalität. „Leichte Sprache hilft mir, mit anderen Menschen besser umzugehen, wenn sie zum Beispiel Demenz haben.“ Im Alltag schärfe sich der Blick für komplizierte und unverständliche Sprache. Irene Eichhorn denkt oft, dass man manches umschreiben müsse. Zusammen entwickelt das Übersetzungsbüro verschiedene neue Projekte, zum Beispiel eine Stadtführung in Leichter Sprache. Außerdem haben sie in Aalen an einer Pecha-Kucha-Nacht, einer Präsentationsmethode mit Einsatz von 20 Bildern für jeweils 20 Sekunden, teilgenommen und einem großen Publikum das Prinzip der Leichten Sprache nähergebracht und so weitere Sichtbarkeit für ein zentrales Thema ermöglicht: Leichte Sprache!
Info: Am 28. Mai ist der internationale Tag der Leichten Sprache. Er soll auf die Notwendigkeit leicht verständlicher Texte hinweisen, um Menschen mit Behinderungen, kognitiven Einschränkungen oder Sehschwächen, aber auch Menschen mit Migrationshintergrund barrierefrei ins gesellschaftliche Leben zu integrieren.